Zwei Themen prägten meine Kapitalanlageberatungen in den letzten Jahren ganz besonders. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit bei der Geldanlage und passives Investieren mittels ETFs. Doch passen beide zusammen oder handelt es sich hier um Greenwashing?
Das passive Investieren ist für viele Kunden sehr verlockend, da sie davon ausgehen, dass die Kostenersparnis bei den Management und Verwaltungsgebühren sich 1 zu 1 in der besseren Wertentwicklung ihrer Kapitalanlage wiederfindet. Und wenn ich wirklich sehr breit in einen Aktienmarkt investieren will, ist ein ETF ja auch tatsächlich eine sehr gute Möglichkeit, wenn auch mit einigen Schwächen.
ETFs geniale Erfindung
ETFs waren eine geniale Erfindung, da sie einen Markt abbilden und Kosten reduzieren und so den langfristigen Erfolg sicherstellen. Es gibt aber auch einige Nachteile von ETFs:
- Liquiditätsengpässe: bei wenig attraktiven Indizes gibt es nur wenige Marketmaker, so dass produktive Konkurrenz ausbleibt und sich die Geld-Brief-Spanne des ETF erhöht.
- Marketingfalle: fünf Anbieter teilen sich 4/5 des globalen ETF-Markts. Durch harten Wettbewerbe in Standard-Indizes, werden neue vielversprechende Indizes mit kleinen Märkten geschaffen.
- Systematisches Risiko: teuer kaufen, billig verkaufen bei Indexveränderungen, da der zugrundegelegte Index zeitnah abgebildet werden muss.
- Nicht physisch replizierende ETFs: nicht alle ETFs replizieren die zugrunde liegenden Einzeltitel physisch, d.h. nicht über Optionen o.a. Finanzinstrumente.
- Einbehalt von Dividenden: bei Aktienindizes vereinnahmen einige ETF-Anbieter die ausgeschütteten Dividenden, die bis zu 40% des Ertrags ausmachen können.
Nachhaltigkeit der Geldanlage – lange belächelt
Nachhaltigkeit bei der Geldanlage wurde lange belächelt. Als ich vor über 20 Jahren mit der Finanzberatung begonnen hatte, hieß es zu dem Thema noch, entweder sind nachhaltige Geldanlagen Mogelpackungen oder sie performen nicht. Sprich: wer mit einer nachhaltigen Geldanlage Geld verdienen will, sollte dies besser lassen. Wer etwas Gutes tun wollte für sich und die Umwelt, sollte lieber in eine „richtige“ Geldanlage investieren und ein Teil seines Ertrages anschließend spenden.
Der Wind hat sich gedreht, da wir in einer Welt leben, die zunehmend die Notwendigkeit eines Umbaus unserer Wirtschaftssysteme akzeptiert. Unternehmen, die nicht nachhaltig handeln, bergen daher für die Investorinnen und Investoren immense Risiken. In Unternehmen zu investieren (oder in Staaten), die sich ernsthaft mit der Nachhaltigkeit ihres Handelns auseinandersetzen, sollte daher Risiken der Geldanlage senken die langfristige Wachstums-Wahrscheinlichkeit steigern. Kurzfristig mag das konkurrierende Unternehmen, das zum Beispiel weiterhin einen sehr hohen CO2-Fußabdruck hat, besser performen. On the long run erhalte ich aber deutliche Produktionsvorteile, wenn ich weniger Energie brauche, um dasselbe Produkt herzustellen. Das sollte sich dann auch in den Unternehmensgewinnen abbilden und damit im Aktienkurs.
Nachhaltigkeit = ESG
Der Begriff Nachhaltigkeit, wie ich ihn verwende, konzentriert sich dabei auf drei Kriterien:
Umwelt (E = Environment)
- Schutz von Natur und Umwelt
- Nachhaltige Nutzung von Naturgütern
Soziales (S = Social)
- Förderung von Frieden
- Armutsbekämpfung
- Bildung und kulturelle Vielfalt
- Gute Arbeitsbedingungen
Gute Unternehmensführung (G = Governance )
- Kooperative, faire und transparente Führung und Unternehmen
- Unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft
- faire Auftragsvergabe
ETFs und Nachhaltigkeit – passt das zusammen?
Da liegt es jetzt nahe, beide Themen miteinander zu kombinieren und als Kapitalanleger einen Nachhaltigkeits-ETF zu kaufen. Meine Intuition sagt mir: Tu es nicht! Denn die Auswahl nachhaltiger Geldanlagen funktioniert gerade nicht mit einem groben Sieb, sondern man muss schon genau hinschauen, welche Titel gekauft werden. Ich habe mich daher auf die Suche gemacht, um mehr darüber zu erfahren.
Sind BP, Equinor, Enel und Total nachhaltig?
Im Nachhaltigkeitsindex „MSCI World ESG Enhanced“ befinden sich die vier genannten Erdölindustriegiganten. Außerdem findet man dort Halliburton und Schlumberger, Weltmarktführer für Erdölexploration und Ölfeldservice (Stand 11.02.2022, Quelle: Blackrock ishares). Was an den Energieriesen und Ihren Dienstleistern wirklich nachhaltig sein soll, kann ich mir nicht so recht erklären.
Wie kommt es dazu? Indizes stellen die Investitionsrichtlinie eines ETFs dar. Ein Index ist also die Basis eines ETFs. Alle „Anlageentscheidungen“, die der dem Index folgende ETF trifft, werden also durch den zugrunde liegenden Index festgelegt. Wir müssen also zunächst einmal anschauen, wie Indizes entstehen.
Der in Deutschland so populäre DAX (steht für Deutscher Aktien Index) wurde von der Deutsche Börse AG erfunden und wird nach mehr oder weniger nachvollziehbaren Kriterien gehegt und gepflegt. Kommt die Deutsche Börse also zu dem Ergebnis, dass ein Unternehmen nicht mehr in den Index passt, wird es aussortiert und ein Nachfolgeunternehmen benannt.
Der MSCI World wird vom US-amerikanischen Finanzdienstleister MSCI festgelegt. Er soll die Wertentwicklung von 23 Industrieländern abbilden, indem ca. 85% der Unternehmen (gemessen an Ihrer Marktkapitalisierung, also anhand des Börsenwerts) in diesem Index aufgenommen werden. Der MSCI World ESG Enhanced wiederum ist eine eingedampfte Version des MSCI World. Es sollen alle Unternehmen, die ihr Geld in kontroversen Geschäftsfeldern verdienen, ausgeschlossen werden, was dann übrig bleibt (Stand Februar 2022: knapp 1.400 Unternehmen) ist dann gemäß der Logik von MSCI nachhaltig. In einem zweiten Schritt werden Unternehmen, die ein besseres ESG-Rating aufweisen stärker gewichtet.
Wir lernen: ein Nachhaltigkeits-ETF ist nur so nachhaltig wie die Auswahlkriterien des Index-Produzenten.
Flop oder Top – ESG Ratingagenturen im Blick
Ich muss mir als Anlegerin oder Anleger die Mühe machen, nach welchen Kriterien ein Unternahmen als nachhaltig oder nicht nachhaltig bewertet werden soll.
Wie werden Unternehmen bewertet, die zum Beispiel Gas- aber auch Windturbinen herstellt?
Werden Zulieferer der Unternehmen in die Bewertung der Nachhaltigkeit mit einbezogen?
Was ist mit Unternehmen, die keine ESG-kritischen Aspekte erfüllen, zu deren Abnehmer aber Unternehmen gehören, die eigentlich vermieden werden sollen?
Es gibt wahrscheinlich derzeit kein Unternehmen nennenswerter Größe, das zu 100% nachhaltig agiert. Wir müssen uns also anschauen, wie die Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen zustande kommt. Dazu werfen wir einen Blick auf ausgewählte ESG-Ratingagenturen:
- 1985 wurde ISS research (USA) gegründet. Sie übernahm 2018 die bereits 1993 gegründete oekom research AG aus München.
- 1992 ist das Geburtsjahr von Systainalytics (Niederlande) gegründet. 2020 wurde die Agentur von Morningstar übernommen.
- 2000 wurde die Non-Profit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) in England ins Leben gerufen. Sie legt ihr Augenmerk auf die Klimaschädlichkeit (Treibhausgasemissionen / Wasserverbrauch) von Unternehmen.
- 2010 gründete MSCI die Tochtergesellschaft MSCI ESG Research, ebenfalls mit Sitz in den USA.
Sara Nitzsche hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Maastricht Universität ausführlich mit diesen vier Agenturen beschäftigt und in einem informativen Vortrag zusammengetragen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es in 70% aller Fällte keine Übereinstimmung im ESG-Rating gab.
Dafür sind folgende Faktoren maßgeblich:
- Jede Agentur hat Ihren spezifischen Nachhaltigkeitsansatz: MSCI untersucht sog. „Key Issue Scores“, Sustainalytics ein sog. „Risk-Rating“, das nach kleineren und großen Unternehmen unterscheidet, ISS fasst Soziales und Governance zu einem Teilrating zusammen, in einem zweiten Teilrating werden die Umweltaspekte bewertet, so dass hier die der Faktor Umwelt stärker gewichtet wird. CDP hat einen davon gänzlich abweichenden Ansatz anhand eigener Schwerpunkte.
- Jede Agentur setzt unterschiedliche Nachhaltigkeitsschwerpunkte: für MSCI ist Nachhaltigkeit ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor, Systainalytics untersucht daneben auch nicht finanzielle Aspekte (Werte-getrieben), ISS und CDP untersuchen Anlagen dagegen ausschließlich werteorientiert.
- Jede Agentur gewichtet die Ergebnisse unterschiedlich. MSCI gewichtet jeden seiner „Key Issue Scores“ zwischen 5 und 30% des Gesamtergebnisses. Die Governance-Bewertung fließt dabei zu mindestens 1/3 in das Ergebnis ein. CDP und Sustainalytics gewichten je nach Wirtschaftssektor unterschiedlich – dies führt zu einer einheitlichen Bewertung aller Unternehmen im selben Sektor. ISS ESG hat drei verschiedene Gewichtungsmodelle je nach Branche.
- Jede Agentur bestimmt selbständig, wie ein Unternehmen einem bestimmten Sektor zugeordnet wird. Es kann also, gerade bei Mischkonzernen sein, dass ein Unternehmen mal dem einen, mal dem anderen Sektor zugeordnet wird. Aixtron SE stellt sog. CVD-Anlagen her, die zur Beschichtung von mikroelektronischen Bauelementen eingesetzt werden. Gemäß Ratinglogik ist es ein Unternehmen der:
- Halbleiterindustrie (MSCI & Sustainalytics)
- Maschinerie (ISS ESG)
- Informationstechnologie (CDP)
- Jede Agentur nutzt eine eigene Bewertungsskala. So bewerten MSCI und CDP die Unternehmen relativ auf einer 7- bzw. 6. Punkteskala, vergleichbar sind Unternehmen dabei nur innerhalb der eigenen Branche. Sustainalytics und ISS bewerten absolut, was auch einen branchenübergreifenden Vergleich erlauben soll.
Zu welchen abweichenden Ergebnissen diese unterschiedliche Methodik führen kann, zeigt Sara Nitzsche anhand der Sartorius AG sehr eindrücklich ab Min. 28 in Ihrem Vortrag.
Alle Ratingansätze haben Ihre Berechtigung. Es geht mir nicht darum, die Arbeit einzelner Ratingagenturen zu hinterfragen. Ich stelle mir aber die Frage, inwieweit diese unterschiedliche Methodik Einflüsse auf das Ergebnis einer nachhaltigen Geldanlage hat.
Zwischenfazit 2022:
Traue nur dem Nachhaltigkeitsrating, das du selbst geratet hast! Auch wenn die EU mit Ihrer neuen Taxonomieverordnung gerade versucht, eine eindeutige Begriffsdefinition gesetzlich zu verankern, so bleiben doch zahlreiche Parameter übrig, die individuell bewertet werden müssen. Zu aller Unübersichtlichkeit gesellt sich noch die unterschiedliche Einschätzung, was Sie, liebe Anlegerin, lieber Anleger, unter Nachhaltigkeit verstehen.
Möchten Sie lediglich Atomkraft, Waffenhersteller und Förderer fossiler Brennstoffe meiden? Geht es Ihnen darum, das schlimmste zu verhindern, was auch immer „das Schlimmste“ ist? Oder wollen Sie mit Ihrer Kapitalanlage positive Auswirkungen erzielen?
Ihr nachhaltige Geldanlage, Ihr Nachhaltigkeitsfonds ist nur so gut, wie die Auswahlmethodik. Damit bekommt das Management der Kapitalanlage einen höheren Stellenwert, weil nicht nur Marktdaten und finanzielle Unternehmensergebnisse bewertet werden sollen, sondern auch Auswirkungen auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit.
Für eine nachhaltige Kapitalanlage in Fonds muss ich mich also damit beschäftigen:
- welche Auswahlkriterien der Nachhaltigkeit für meinen Fonds gelten
- wie das Management, die Nachhaltigkeitsdaten gewinnt
- nach welchen Maßstäben die Ergebnisse bewertet werden
Für mich besteht vorläufig kein Zweifel, dass dies nur durch aktives Management erreicht werden kann. Ein automatisierter Auswahlfilter wird je nach Einstellung entweder zu viele ESG-positive Unternehmen aus dem Ergebnis sieben, oder zu viele ESG-negative Unternehmen im Investmenttopf belassen.